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Starke Rede #Sondernewsletter

Zeitenwende in der Deutschen Außen- und Sicherheitspolitik. Waffenlieferungen an die Ukraine. 100 Milliarden als „Sondervermögen“ für die Bundeswehr. Neue Kampflugzeuge. 

Aus dem ungefähren Lavieren Deutschlands wird eine entschlossene Haltung gegen Putins kaltblütigen Angriffskrieg. Und Olaf Scholz, als Souverän des Volkes, erst drei Monate im Amt hält eine Rede, die niemand ihm in dieser Konsequenz zugetraut hätte. Dieser Sonderartikel in der Reihe „Starke Redner“ würdigt eine von Klarheit gezeichnete Rede in apokalyptischer Zeit und zeigt auf wie stimm- und körpersprachlich Geschichte geschrieben wurde. 

Im November 2021 schrieb ich über Olaf Scholz: „Man kann ihm während des Sprechvorganges beim Denken zuschauen, detailliert, präzise mit einer hellen Stimmfarbe. Dies kann bedingt auf den ersten Blick weniger emotional wirken. Auf den Zweiten ist die detaillierte, argumentative Zerlegung von Themen jedoch emotional, weil das Gegenüber gerade dadurch mitgenommen wird. Dieser minimale Sprechgestus will also Brücken bauen.“ Den Artikel schloss ich damals mit der Frage, ob Olaf Scholz für diese Brücken, die er kommunikativ erbaut, auch Verantwortung übernehmen wird?

 

Knapp vier Monate später lautet die Antwort „Ja“. Mehr noch. Der Sozialdemokrat Olaf Scholz hat nicht nur mit dem Grundsatz der „Nicht Aufrüstung“ der eigenen Partei gebrochen, er hat auch eine klare und wirkungsvolle Antwort auf einen Aggressor gegeben, der Völkerrechtsbruch begeht. Stichhaltig dekliniert, warum er was entschieden hat. Sich bedankt bei seinen Ministerinnen und Ministern, bei der Bundeswehr, bei uns Bürgerinnen und Bürgern und das nicht nebenbei, nicht überbordend, sondern zugewandt und erklärend. Und Scholz und das scheint das wichtigste Kriterium zu sein, um Geschichte zu schreiben, Scholz zeigt in seiner 30minütigen Rede am Sonntag, den 27. Februar 2022, ein Gespür für den historischen Moment. Ein Spiegel für das was uns alle bewegt. 

 

Schauen wir uns dazu Auszüge aus den ersten zehn Minuten an:

Die neue Theatralik

Scholz Fachgebiet ist nicht die große Modulation in der Stimme, die die Botschaft hinter den Worten in ein emotionales Schwingen bringt. Seine rationale Klarheit besticht, auch diesmal. Doch wechselt sich am 27. März sein heller mit tiefen Klangbereichen ab. Dadurch wirkt die Stimme punktuell voller oder zerbrechlicher, durchlässiger für das Meinen hinter dem Sagen, also Punktum emotionaler. Worte wie „Völkerverachtend, Menschenwidrig“, werden dazu plötzlich betont. Dabei schwingt der Oberkörper leicht nach vorne, ein Ruck geht mit jedem Wort durch den Körper, ein Ruck der Atmung durch die Stimmbänder. So werden diese wichtigen Worte plötzlich präsent, worauf Applaus folgt. 

 

„Die schrecklichen Bilder aus Kiew…

...der Schmerz der Ukrainerinnen und Ukrainer, sie gehen uns allen sehr nah“. 

Auch das ist neu in Scholz Sprechgestus. Während dieses Satzes verlangsamt er das Sprechtempo bis zum Punkt, also bis zum Ende hin. Die Bruststimme erklingt. Mitfühlend wirkt dies ohne große Emphase, aber mit einer neuen Theatralik als Botschaft unter diesem Satz. Wir wissen dadurch: Hier geht es um was! 

Ungeschminkt - von Erschöpfung, Schrecken & Schnörkel

Erschöpfung

Scholz redet von uns Bürgerinnen und Bürger am Küchentisch, wie wir uns Fragen stellen... .

Ein tiefer Brustton, fast verschwindend erklingt. Die Stimme wirkt ermüdet. Erschöpfung stellvertretend für uns alle. Ob Politiker, Bürgerinnen und Bürger. Erschöpfung durch Hilflosigkeit, Zeuge einer solchen Kriegsgewalt in Europa zu werden. Hier klingt etwas in seiner Stimme an, was sich übertragen lässt auf viele von uns. Ein gemeinsamer, gehaltener bis atemraubender Sound der Zeit wird indirekt beschrieben.

Schrecken

Mit „Wir erleben eine Zeitenwende. Die Welt danach ist nicht mehr wie eine Welt davor“ blickt Scholz direkt in sein Publikum im Bundestag. Mit einem klarem, satten Stimmklang werden diese Worte gefüllt. Scholz zögert nicht das schwer Begreifliche auszusprechen. Damit bändigt er den Schrecken durch erstens den Inhalt, beschwört außerdem durch häufige Nutzung des Wortes „Zeitenwende“ einen neuen geschichtlichen Abschnitt und bietet seinem Publikum diesen Satz mit Augenkontakt und mit einer guten Mischung der Stimmfarben an. Dadurch wirkt die Stimme und damit die Botschaft dahinter „Es ist so. Wir müssen es akzeptieren“ klar und stabil. 

„Kriegstreibern wie Putin Grenzen zu setzen“ 

Ohne Schnörkel 

Ein rhetorisches Mittel, das Scholz eigentlich in der Vergangenheit kaum angewandt hat, weil zu agitatorisch. Mit kurzen, punktierten Betonungen in der Sprache zusammen mit einer Gestik der hebenden und sinkenden Hand werden Worte wie KRIEGSTREIBERN! WIE! PUTIN ! GRENZEN! ZU SETZEN! zu einem Statement geformt. Er macht dies nicht laut und aggressiv, aber bestimmt ohne Schnörkel. Damit reagiert er auf kriegerische Gewalt nicht mit Gegendruck, aber Bestimmtheit. Und genau diese Bestimmtheit löst am Ende Applaus im Publikum aus. Denn wir brauchen Klarheit gegen Chaos und Worte sind in der Politik eben Handlungen. Um so mehr, wenn sie so vorgetragen werden. 

Brandings

Das Gehirn mag kurze Sätze, die auf Punkt kommen. Dadurch kann der Inhalt emotional und körperlich schneller und tiefenwirksamer verarbeitet werden. 

 

Kurze einprägsame Sätze kommen daher immer wieder aufs Tableau wie: „Wir stehen auf der richtigen Seite der Geschichte“ und „Wir werden nicht zulassen, dass dieser Konflikt zwischen Putin und der freien Welt zum Aufreißen alter Wunden und zu neuen Verwerfungen führt.“- Applaus. Applaus. Applaus. Immer und immer wieder. Die Wiederholungen werden zu Brandings, die Olaf Scholz schafft, und im Kopf seines Publikums nachhallen werden, auch über seine Rede hinweg, direkt ins Geschichtsbuch. 

Achillesferse

Wir alle haben diese eine Archillesferse. Gerade die SPD, wenn es um die Themen Sicherheit, Auf – bzw. Ausrüstung der Bundeswehr geht. So löste das Wort „Waffenlieferung“ in Scholz eine zuerst widersprüchliche körpersprachliche Reaktion aus. „Waffenlieferung“ ein Wort als Auftakt einer neuen Politik. Achillesferse eben. Mit klarer Stimme, jedoch den Blick abwendend vom Publikum, schaute er bei der Aussprache des Wortes nach unten. Rufe aus dem Saal ertönen. Für Sekunden blickt er nach oben, suchend, abgelenkt, den Rufenden zu entziffern, um dann wieder weiter im Text zu gehen. Etwas angespannter als vorher.

 

Scholz wird sich später bei Themen der Aufrüstung trotz ein paar Versprechern und auch punktuell rhetorischen Schwächen im Halten der Konsistenz der Rede wieder fangen und verkünden, dass es ein „Sondervermögen“ für die Bundeswehr geben wird, 2% des Bruttoinlandproduktes für Verteidigung. Dass Deutschland zu seiner Beistandspflicht in der Nato steht. Das Deutschland deutlich mehr investieren muss, um Sicherheit des Landes, Freiheit und Demokratie zu schützen. All dies wird er mitteilen, konzentriert ohne viel Aufhebens. Und wieder wird Geschichte geschrieben. Nach 1945, nach mehr als siebzig Jahren des Friedens kommen diese Beschlüsse klar und nüchtern, stimmlich wie körpersprachlich aus Olaf Scholz. Ein Gegenwicht gegen Größenwahn und Machtanspruch Putins, der laut und verheerend ist. 

Der Brückenbauer

Welche Rhetorik braucht der Krieg?

 

Noch am Donnerstag, den 24. Februar 2022 trat Scholz etwas unkonkret vor die Kamera, verurteilt zwar Putin, den Angriff auf die Ukraine und kündigt wirtschaftliche Sanktionen an. Doch was braucht es, um solch eine Aggression auf europäischen Boden Einhalt zu gebieten? Am Sonntag kam Scholz dann aus seiner Deckung, die ihm wenige in solch einer Konsequenz zugetraut hätten. 

 

„Was trifft die Verantwortlichen am härtesten und nicht das russische Volk!“ 

Fragt er mit kraftvoller Stimme, einem Mix zwischen Brust und Mittelstimme in den Saal hinein und lehnt sich nach vorne im direkten Blickkontakt mit den Parlamentariern. Eine außerordentliche Betonung für Scholz. Er differenziert dadurch zwischen Böse und Gut und macht dies nonverbal auf allen Ebenen kenntlich. Damit schafft er eine kluge Differenzierung, die wichtig ist in solch einer Rhetorik, die auf Krieg antwortet. Klar ist, hier wird eine Person zur Verantwortung gezogen. Putin eben und nicht das ganze russische Volk.

 

Und dann lehnt sich Scholz wieder vor mit:

„Und noch etwas sollten wir nicht vergessen. In vielen russischen Städten haben russische Bürgerinnen und Bürger gegen Putins Krieg demonstriert. Haben Verhaftungen und Bestrafungen in Kauf genommen. Das erfordert großen Mut…

Langer Applaus. Die Parlamentarier stehen auf.

 

Scholz Stimme bleibt stark und kräftig im Körper. Das Zwerchfell, die tiefe Atmung ist mit integriert. Hier meint jemand, was er sagt:

 „Deutschland steht an der Seite der Ukrainerinnen und Ukrainer und unsere …. „Wir sind viele“

Dann plötzlich persönlicher mit sanfter Stimme: 

„Ihnen allen sage ich: Geben sie nicht auf. Ich bin ganz sicher. Freiheit, Toleranz und Menschenrechte werden sich auch in Russland durchsetzen.“ 

Einer der großen Momente. Die Ruhe überträgt sich. Und nicht nur die. Diese Rede ist die deutsche Antwort an Putin, die Unrecht Worten gegeben, sich schützend vor die Unschuldigen gestellt hat, die das gemeinsame Bündnis der Nato beschwört, die keine Angst hat Wege einzuschlagen, die vor einem Monat noch nicht mal denkbar waren.

 

Der Überbringer dieser deutschen Nachricht heißt hier Olaf Scholz. Ein Mann der Diplomatie, aber nicht um jeden Preis. Ein Mann, der ein starkes Team hinter sich mit Baerbock, Lindner, Habeck versammelt hat. Ein Mann, der seinen Sprechgestus immer noch in einer feinen, minimalistischen, rhetorischen Grundlinie hält mit einer enormen Erweiterung an Stimmfarben, unterschiedliche Sprechtempi und neuen rhetorischen Mitteln wie größere Betonungen und Verlangsamung. Eben je nachdem was der Inhalt an emotionaler Botschaft fordert. 

 

Ihm beim fast gleichzeitigen Denken und Sprechen zuzuschauen, ist leider nicht mehr möglich. Denn es ist, wie er selbst sagt, eine ZEITENWENDE angebrochen.

Jetzt geht es ums Handeln! 

 

 

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